Wir wollen die Containertheorie von Raum und Zeit, die den physikalischen Theorien bislang zugrunde liegt, hinter uns lassen. Dafür müssen wir zwei große Mysterien enthüllen: Wodurch ist die Gegenwart als "jetzt" ausgezeichnet? Und was treibt den Zeitfluss an? Um uns einer Antwort auf diese Fragen zu nähern, wollen wir ein Gedankenexperiment machen.


Stellen wir uns einen riesigen Planeten vor, auf dem sich zwei Zwillige zu einem Experiment verabreden. Der eine Zwilling hat zu Fuß den Planeten am Äquator umrundet und dabei mit einem Stab, dessen Länge wir 1 Meter nennen würden, den Umfang des Planeten zu 180.000.000 Metern bestimmt. Der andere Zwilling erhält nun die Aufgabe, den Umfang des Planeten zu bestimmen, indem er mit einer Rakete den Planeten knapp über dem Boden entlang des Äquators umkreist. Beide Zwillinge besitzen zudem baugleiche Uhren. Der Raumfahrer besteigt seine Rakete und beschleunigt sie auf 3/5 der Lichtgeschwindigkeit c. Nachdem er die Endgeschwindigkeit erreicht hat und an seinem Bruder unmittelbar vorbeifliegt, drücken beide Zwillinge auf die Starttaste ihrer Uhr. Als die Rakete erneut den Zwilling am Boden passiert, drücken beide Zwillinge die Stopptaste. Der Zwilling am Boden liest auf seiner Uhr eine Zeit ab, die wir 1 Sekunde nennen. Der Zwilling in der Rakete dagegen liest aufgrund der relativistischen Zeitdilatation nur 0,8 Sekunden auf seiner Uhr ab. Nach seiner Messung betrug die zurückgelegte Strecke entlang des Äquators aufgrund der relativistischen Längenkontraktion nur 144.000.000 Meter. Hinsichtlich der Geschwindigkeit seiner Rakete ist er sich mit seinem Zwilling jedoch einig: Der Raumfahrter bestimmt seine Geschwindigkeit als v = 144.000.000 Meter / 0,8 Sekunden = 180.000.000 Meter / Sekunde, während sein Bruder mit v = 180.000.000 Meter / 1 Sekunde zu dem gleichen Ergebnis kommt.  


Im Moment des jeweiligen Vorbeiflugs der Rakete befinden sich die beiden Zwillinge offenkundig nahezu am gleichen Ort und in derselben Gegenwart. Hinsichtlich der dazwischen zurückgelegten Zeitdauer und Wegstrecke sind sich die beiden Zwillinge allerdings uneins. Folglich kann das "Jetzt" nicht durch raum-zeitliche Koordinaten bestimmt sein. Zu diesem Ergebnis war auch bereits Einstein mit seinen Überlegungen zur Ungleichzeitigkeit von koinzidenten Ereignissen für gegeneinander bewegte Beobachter gekommen. 

Was macht die jeweiligen Gegenwart als Jetzt aus, wenn es nicht die Zeit ist?

Einstein war aufgrund seiner Fixierung auf die Uhrenzeit der Auffassung, das Jetzt könne in der Physik nicht vorkommen. Diese Einstellung erscheint uns jedoch unbefriedigend, da ansonsten das Phänomen der Zeit höchst unvollständig von der physikalischen Theoriebildung erfasst würde. Wir möchten daher einen Vorschlag machen, was tatsächlich hinter dem Phänomen steckt, was wir gemeinhin als Fließen der Zeit beschreiben. Im obigen Gedankenexperiment gibt es nämlich eine physikalische Größe, die zwischen den beiden Begegnungen für beide Zwillinge dieselbe Änderung erfahren hat: Die Wirkung ΔS = E * Δt. Für den Zwilling am Boden ergibt sich ΔS = m0c2 * Δt, für den Zwilling in der Rakete ist ΔS = mc2 * Δt' = γ * moc2 * Δt / γ = m0c2 * Δt, wobei γ = (1 - (v/c)2)-0,5  den Lorentz-Faktor bezeichnet. Damit diese Betrachtung auch für Zwillinge gilt, die nicht dieselbe Ruhemasse m0 besitzen, darf man allerdings nicht die absolute Änderung ΔS betrachten, sondern muss die relative Änderung ΔS / So verwenden.

Beim Übergang von der Gegenwart G1 zu G2 ändert sich also der Wirkungswert S für jedes materielle Teilchen und die daraus zusammengesetzten makroskopischen Objekte um eine bestimmte Relation S2/S1. Die "Bewegungsgleichungen" der basalen Bausteine der materiellen Welt sollten folglich nicht mit der Zeit als Parameter formuliert werden, sondern in Abhängigkeit vom einheitenlosen Relativwert ΔS / So. Damit wird auch unmittelbar einsichtig, warum sich alle physikalischen Bewegungsgleichungen aus dem Prinzip der extremalen Wirkung herleiten lassen: Was tatsächlich "fließt", ist nicht die Zeit, sondern der Wirkungswert. Alle physikalischen Objekte nehmen den Weg in Raum und Zeit, der sie in der nächstmöglichen Gegenwart von A nach B bringt. Oder quantenphysikalisch ausgedrückt: Alle Wege eines Teilchens im Phasenraum werden mit der jeweiligen Wirkung gewichtet, denn es ist unwahrscheinlicher, dass ein Teilchen auf einem Weg erst in einer späteren Gegenwart detektiert wird als dass es auf einem anderen Weg bereits in einer früheren Gegenwart detektiert worden ist.

Damit kommen wir zum Problem des Messens und Beobachtens, das in der Quantenphysik schwerwiegende Deutungsprobleme aufwirft, weil wir alle experimentellen Beobachtungen in unserer gewohnten makroskopischen Erlebniswelt als raum-zeitliche Ereignisse erfassen, die Quantenobjekte jedoch Raum und Zeit erst hervorbringen und ihr Verhalten stattdessen von anderen Variablen wie dem relativen Wirkungswert als dem primären Treiber abhängt, was sich bisher in den Theorien nicht niederschlägt.  

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