Sowohl den Philosophen der Antike als auch neuzeitlichen Wissenschaftlern ist aufgefallen, dass es frappierende Ähnlichkeiten zwischen verschiedenartigsten komplexen Systemen gibt - egal, ob es sich nun um biologische Organismen, menschliche Sprachen oder das Wirtschaftsleben handelt. Im 20. Jahrhundert haben sich daher Wissenschaftler wie die Biologen Ludwig von Bertalanffy (1901-1972), Humberto Maturana (1928-2021) und Francisco Varela (1946-2001), der Mathematiker Norbert Wiener (1894-1964), der Informatiker Jay Wright Forrester (1918-2016) und Physiker wie Erich Jantzsch (1919-1980), Murray Gell-Mann (1929-2019) oder Ilya Prigogine (1917-2003) daran gemacht, allgemeingültige Theorien zur Beschreibung komplexer Systeme aufzustellen. Diese Überlegungen wurden unter Namen wie "Allgemeine Systemtheorie", "Kybernetik", "Komplexitätsforschung" und "Chaostheorie" bekannt. 

Grundkonzepte und Methoden der System­forschung – beispielsweise die Begriffe System und Steuerung oder die Methoden der mathematischen und computergestützten Analyse des Systemverhaltens – haben mittlerweile in vielen verschiedenen Fachdisziplinen breite Anwendung gefunden. Beispiele sind die Mess-, Steuer- und Regeltechnik in den Ingenieurwissenschaften, die Modellierungen in der Systembiologie, die sozialwissenschaftliche System­­theorie von Niklas Luhmann und seinen Anhängern, die Organisationslehre in der Betriebswirtschaft, die systemische Psychotherapie oder die Systemanalyse in der IT. Systemtheoretisches Denken hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in vielen Wissenschaftsgebieten Einzug gehalten.

Kritiker haben jedoch insbesondere der in den 1980/90er Jahren populären Komplexitäts- und Chaostheorie vorgeworfen, dass hier ein bunter Strauß von Phänomenen munter in einen Topf geworfen wird, ohne ein überzeugendes theoretisches Band zu knüpfen. Dieser Vorwurf mangelnder theoretischer Stringenz ist durchaus berechtigt. Die Bemühungen um eine Allgemeine Systemtheorie sind jedoch seit der Jahrtausendwende weitgehend zum Erliegen gekommen; ihr fachgebietsübergreifender Ansatz hat im modernen Wissenschaftsbetrieb, der nach Disziplinen und Fächern aufgespalten ist, keinen Platz gefunden. Außer dem Santa Fe Institute gibt es  keine akademische Einrichtung, die sich der Allgemeinen Systemtheorie verschrieben hätte.

Wir - die Autoren dieser Webseite Stephan Witt und Werner Ahrendt - sind von den Vordenkern der Systemtheorie stark inspiriert worden. Wie wir bei einem geselligen Abend im Gespräch feststellten, haben wir systemtheoretische Konzepte in unserem jeweiligen Berufsleben ausgiebig genutzt und dabei weiterentwickelt. Damit unsere Überlegungen nicht verloren gehen, sondern der nachfolgenden Generation als Inspirationsquelle zur Verfügung stehen, wollen wir hier sukzessive unsere gewonnenen Einsichten darstellen.

Lesetipps:

  • Ludwig von Bertalanffy: Zu einer allgemeinen Systemlehre, Biologia Generalis, Heft 195 (1948), S. 114–129.
  • Norbert Wiener: Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine, MIT Press Cambridge/Mass. 1948.
  • Erich Jantzsch: Die Selbstorganisation des Universums – vom Urknall zum menschlichen Geist, Hanser München 1979.
  • Niklas Luhmann: Soziale Systeme, Suhrkamp Frankfurt/Main 1984.
  • Murray Gell-Mann: Das Quark und der Jaguar. Vom Einfachen zum Komplexen – Die Suche nach einer neuen Erklärung der Welt, Piper München 1994 (nach der amerikanischen Originalausgabe The Quark and the Jaguar, Freeman & Co New York 1994).

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