Nicht nur im Wein ("in vino veritas") liegt manchmal ein Quentchen Wahrheit. Auch in der Werbung (lat. "vendo") liegt ab und zu ein wichtiger wahrer Kern, über den es sich lohnt genauer nachzudenken.
In vendo veritas - dies trifft ganz besonders auf Image-Kampagnen von Unternehmen zu, deren Kern ja gerade darin liegt, kein spezifisches Produkt zu bewerben. Stattdessen versuchen diese Werbungen, den Firmennamen mit Gedanken und Konzepten zu verknüpfen, die für das Unternehmen wichtig sind. Genau diese Kerngedanken sind es, auf die ich mit der Aussage "in vendo veritas" abziele. Denn in diesen Kerngedanken können sich wirklich interessante Blickwinkel verstecken, über die es lohnt, nachzudenken.
Das spannende daran und auch der Grund, warum ich es hier aufgreife, ist die Tatsache, dass Werbung darauf abzielt, diesen einzelnen Kerngedanken sehr anschaulich und einfach verständlich in wenigen Sekunden zu kommunizieren. In solch gelungener Werbung wird auf einen Blick eine konzeptionelle Idee so aufbereitet, dass sie jeder verstehen und nachvollziehen kann. Und wenn man dann mal ignoriert, welches konkrete Unternehmen die Werbung erstellen ließ, dann bleibt doch die sehr gelungene Darstellung dieses Kerngedankens.
Im Kontext dieses Artikels geht es vor allen Dingen um die Perspektive auf die Wissenschaft und deren Versagen bei der Entwicklung signifikant neuer Theorien, die im Konflikt zur vorherrschenden dominanten Meinung stehen. Häufig genug wird neuen Ideen entgegen gehalten, dass die Mehrheit ja nicht unrecht haben könnte und die abweichende Einzelmeinung deswegen gewiss abwegig sei. Doch genau dies ist falsch.
Es gibt ein herausragendes Beispiel für eine Imagewerbung, die dieses Thema aufgreift und damit einen wahren Kern enthält – in vendo veritas. Diese Werbung stellt sehr anschaulich und plastisch den Gedanken von Thomas Kuhn dar, dass jede wissenschaftliche Revolution - oder, wie Kuhn es nennt, ein Paradigmenwechsel - mit einer Idee einer einzelnen Person beginnt. Diese einzelne Person wagt es, sich gegen die Mehrheit zu stellen, und am Ende setzt sich die neue Sichtweise durch. Für das Unternehmen, auf dessen Werbekampagne ich anspiele, ging es damals darum, seinen treuen Altkunden und potenziellen Neukunden zu kommunizieren, dass es Mut erfordert, aber auch richtig ist, sich mit neuen Ideen gegen den vorherschenden Massentrend zu stellen. Dass es okay ist, anders zu sein, dass es okay ist, ein anderes Produkt zu kaufen als alle anderen. Denn das war genau das, was das Unternehmen damals zum Überleben brauchte.
Das Beispiel, von dem hier die Rede ist, ist die Kampagne "Think different" von Apple aus dem Jahr 1997. Für Apple war dieses Jahr ein Wendepunkt. Es war das Jahr, in dem Steve Jobs - nach mehr als zehn Jahren Abwesenheit von Apple - als CEO zurückkehrte. Das Apple von damals war ein Unternehmen, über das es Konkurs- und Übernahmegerüchte gab. In der Konkurrenz zum damaligen Duopol Microsoft / Intel trauten die wenigsten Apple ein Überleben zu. Der Marktanteil für Macintosh-Computer war auf eine homöopathische Größe von 2-3 % gesunken. Er war so gering, dass Apple zurecht von der Sorge umgetrieben wurde, dass auch die kleine Gruppe verbliebener Kunden und Softwareentwickler, die Apple bis dahin die Treue gehalten hatten, den Glauben an die Zukunft von Apple verlieren würden. Ohne Kunden gäbe es keine Umsätze, um das Unternehmen weiterzuführen und ohne Softwareentwickler keine attraktiven Programme, um Apple-Computer zu nutzen. In dieser Situation war es nicht das Wichtigste, in der Werbung ein neues Produkt bekannt zu machen. Sondern das Wichtigste war, die Kunden davon zu überzeugen, dass Apple eine Zukunft besaß. Denn Computer sind kein Schokoriegel, den man spontan im Supermarkt kauft. Computer sind Investitionen. Egal, wer der Kunde ist: In ein Produkt wird er nur dann investieren, wenn er an die Zukunft des Produkts und des dahinter stehenden Unternehmens glaubt. 1997 war dieser Glaube an Apple verloren gegangen. Nur noch die "Verrückten", "The Crazy Ones", glaubten daran, dass Apple es schaffen würde. Um den Glauben bei allen anderen wieder herzustellen, waren drei Dinge notwendig:
- durch interne Maßnahmen und Fokussierung dafür zu sorgen, dass Apple genug Liquidität hatte, um diese Zukunft zu erreichen;
- weithin sichtbar relevante Dritte dazu zu bringen, demonstrativ an die Zukunft von Apple zu glauben;
- mit einer Image-Kampagne der Welt mitzuteilen, dass es völlig okay ist, anders zu sein als alle anderen, dass jede Revolution genau mit so einem einzelnen Andersartigen begonnen hat - mit jemandem, der es wagt, "anderes zu denken".
Der erste Punkt machte zunächst einige der verbliebenen treuen Kunden wenig glücklich. Der Marktanteil von Apple war zu gering, um aus den damit erzielten Deckungsbeiträgen die Vielzahl der damals parallel laufenden Entwicklungsaktivitäten zu finanzieren. Aus diesem Blickwinkel war es nur konsequent, dass Apple zum damaligen Zeitpunkt die Entwicklung des Apple Newton als Handheldgerät und andere eigene Produkte aus der Computerperipherie (z.B. Drucker) einstellte.
Der zweite Punkt erfolgte dadurch, dass es Steve Jobs gelang, den Gründer und damaligen CEO von Microsoft Bill Gates zu zwei entscheidenden Schritten zu bewegen: Zum einen investierte Microsoft direkt in den Konkurrenten Apple. Die Investition war mit 100 Millionen zwar nicht besonders hoch, aber doch hoch genug, um die Märkte zu überzeugen, dass selbst der Hauptkonkurrent an das Überleben von Apple glaubte und auch ein Interesse daran hatte. Der zweite Schritt von Microsoft war, dass es dafür sorgte, dass die Microsoft-Office-Dateien, die mit macOS oder Windows erstellt wurden, untereinander wieder kompatibel und austauschbar waren. Seitdem Microsoft im Jahr 1995 Windows95 und eine dazu passende neue MS-Office-Version eingeführt hatte, war das nämlich nicht mehr der Fall gewesen. Die erneuerte Kompatibilität funktionierte zwar nicht perfekt, aber war doch so gut, dass man mit einem geringen Zusatzaufwand Dateien austauschen konnte. Damit verlor der geringe Marktanteil der Macintosh-Computer, zumindest in Bezug auf die sehr wichtigen Büroanwendungen, etwas von seiner Brisanz und Bedeutung. Die Investitionen in einen Apple-Computer führte daher zumindest in diesem kritischen Punkt der Bürosoftware nicht mehr zu einer Ausgrenzung vom Rest des Marktes.
Der dritte Punkt war eben jene Imagekampagne "Think different", die mit ihrer Kernaussage bis heute nichts von ihrer Relevanz verloren hat. Dieser Werbespot von einer Minute Länge besteht fast ausschließlich aus historischen Filmaufnahmen berühmter Persönlichkeiten. Diese Persönlichkeiten haben alle eines gemeinsam: Sie haben sich gegen den Mainstream gestellt und es am Ende geschafft, alle anderen von ihrer Ansicht zu überzeugen. Sie alle haben es geschafft, die Welt zu verändern. Der Spot beginnt mit einer ikonischen Aufnahme von Albert Einstein und zeigt unter anderem Bilder von Martin Luther King, Mahatma Gandhi, Maria Callas, Thomas Edison, Alfred Hitchcock und zuletzt Pablo Picasso, wie er scheinbar in die Luft malt. Das Ganze wird im englischen Original untersetzt von der sonoren Stimme von Richard Dreyfuss, der sich mit seinem Text an die Crazy Ones wendet, die Andersdenkenden. Denn egal wie die Mehrheit zu ihnen steht - die Mehrheit kann diese Individuen und ihre Meinungen nicht ignorieren. Denn es sind diese Individuen, die es schaffen, die Mehrheit von ihrer Meinung zu überzeugen und damit letzten Endes die Menschheit voranzubringen. Der Spot endet mit der Einblendung der Worte "think different". Nur in den letzten drei Sekunden wird das Logo von Apple gezeigt. Wer dieses Logo nicht erkennt, für den ist der gesamte Werbespot einzig und allein eine Hymne an die Andersdenkenden.
In vendo veritas.
Was bedeutet "think different" für uns? Die Kernaussage des Werbespots beschreibt ziemlich treffend die Motivation, warum wir uns mit den großen und kleinen Welträtseln befassen und bei der Suche nach Lösungen ungewohnte Wege gehen. Wir vertreten hier Meinungen, die den Status Quo infrage stellen. Wir versuchen diese sachlich und plausibel zu begründen. Die bloße Tatsache, dass wir damit in den von uns angesprochenen Themengebieten eine andere Meinung als der Mainstream der Wissenschaft vertreten, ist kein hinreichender Grund oder Beweis dafür, dass unsere Ansätze falsch sind.
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