Werner Ahrendt und Tom Becker führen das rätselhafte Phänomen, dass die meisten Elementarteilchen erst bei einer Rotation um 720° wieder mit sich identisch sind, auf die vierdimensionale Gestalt des Universums zurück. 

Ausgangspunkt unserer Überlegungen bildet die äußerst merkwürdige und bislang unverstandene Eigenschaft der Fermionen, dass sie erst bei einer Rotation um 720° wieder mit sich identisch sind. Nach einer Umdrehung um 360° hat die Wellenfunktion des Teilchens das umgekehrte Vorzeichen – erst nach einer weiteren Drehung um 360° ist wieder der Ausgangszustand erreicht. Diese Eigenheit tritt nicht nur dann zutage, wenn der Beobachter fix ist und das Teilchen um die eigene Achse gedreht wird, sondern auch, wenn das Teilchen fix ist und der Beobachter in einem Kreis um das Teilchen herumläuft. Daher kann dieses sonderbare Phänomen eigentlich nicht an den Fermionen liegen, wie üblicherweise angenommen, sondern muss mit den topologischen Eigenschaften des Universums zusammenhängen, denen auch wir unterliegen, wenn wir uns als Beobachter um ein anderes Objekt drehen.

Gibt es mathematische Strukturen, deren Topologie derart beschaffen ist, dass man erst nach einer zweimaligen Umdrehung wieder zum Ausgangszustand zurückkehrt?

MöbiusbandSolche mathematischen Strukturen gibt es. Eine einfache Version ist unter dem Namen Möbius-Band bekannt. Ein Möbius-Band lässt sich herstellen, wenn man einen Papierstreifen verkehrtherum zusammenklebt. Bewegt sich ein Objekt auf dem Möbius-Band entlang, steht es nach einer vollen Umrundung auf dem Kopf und befindet sich auf der Rückseite des Bandes, erst nach einer weiteren Umrundung ist es wieder in der Ausgangsposition. Die Bewegung auf einer solchen Struktur hat also die gleiche seltsame Eigenschaft, die wir auch bei Fermionen beobachten. Wir sollten daher den verrückten Gedanken in Erwägung ziehen, dass unser Universum eine topologische Struktur besitzt, die einem Möbius-Band ähnelt. Allerdings kann unser Universum keine zweidimensionale Fläche sein, die an den Enden zu einem endlosen Band im dreidimensionalen Raum verbunden wurde, denn zur Beschreibung des Universums benötigen wir (mindestens) vier Dimensionen – drei raumartige und eine zeitartige Dimension.

Auch für diesen Fall haben die Mathematiker passende Objekte in der Schublade. Alexander Unzicker offeriert in seinem Buch Die mathematische Realität – warum Raum und Zeit eine Illusion sind einen vielversprechenden Kandidaten: Die vierdimensionale Kugel – von den Mathematikern S3-Sphäre genannt. Leider ist unser Vorstellungsvermögen auf drei Dimensionen begrenzt, sodass wir uns die Eigenschaften einer vierdimensionalen Kugel nur durch Analogien erschließen können. Mathematiker definieren eine Kugeloberfläche als die Menge aller Punkte, die vom Mittelpunkt der Kugel den gleichen Abstand haben. Diese Definition lässt sich immer anwenden – unabhängig davon, ob der betrachtete Raum zwei, drei, vier oder noch mehr Dimensionen besitzt. So ist eine zweidimensionale Kugel ein gewöhnlicher Kreis, dessen Begrenzung eine gebogene Linie ist. Eine dreidimensionale Kugel ist die gewöhnliche Kugel, deren Begrenzung eine gekrümmte Fläche ist. Eine vierdimensionale Kugel wird folglich von einem gekrümmten dreidimensionalen Raum begrenzt. Ist der Radius einer Kugel recht groß und mithin die Krümmung recht klein, so sieht lokal die Oberfläche eben aus. Einen Kreis kann man lokal durch eine Tangente annähern, eine Kugel durch eine Tangentialfläche und eine vierdimensionale Kugel durch einen ebenen euklidischen Raum. Wenn also unser Universum tatsächlich eine vierdimensionale Kugel wäre, so sähe es lokal näherungsweise wie ein ebener euklidischer Raum aus. Es wäre daher überhaupt nicht verwunderlich, dass unser Gehirn im Laufe der Evolutionsgeschichte die Anschauungsform eines ebenen dreidimensionalen Raums ausgebildet hat, denn damit lässt sich die alltägliche Erfahrungswelt einfach und hinreichend genau erfassen.

In unserem Zusammenhang interessant ist die Eigenschaft einer vierdimensionalen Kugel, dass man erst nach einer Drehung um 720° beim Ausgangspunkt ankommt. Um dies zu verstehen, wollen wir uns wieder einer Analogie bedienen: Auf einem zweidimensionalen Kreis gelangt man nach einer vollen Drehung um 360° wieder zum Ausgangspunkt zurück. Eine dreidimensionale Kugel kann man sich nun so vorstellen, als sei an jedem Punkt eines Kreises ein weiterer Kreis angebracht. Auch auf einer Kugel gelangt man nach einer Drehung um 360° wieder an seinen Ausgangspunkt zurück, wobei man dafür verschiedene Wege nutzen kann. Auf einer vierdimensionalen Kugel hingegen benötigt man zweimal eine volle Umdrehung um 360°, um wieder beim Ausgangspunkt anzukommen! Denn eine vierdimensionale Kugel kann man sich wie einen Kreis vorstellen, bei dem an jedem Punkt zwei weitere Kreise angeheftet sind. Um wieder an den Ausgangspunkt zurückzukehren, muss man die beiden Kreise wie eine Acht durchlaufen – d.h. nach einer Drehung um 360° ist man zwar am Ausgangspunkt zurück, steht aber wie bei einem Möbius-Band „auf dem Kopf“.

Aber warum merken wir im Alltag nichts davon, dass man sich im Universum zweimal um die eigene Achse drehen muss, um in die Ausgangsposition zurückzukehren? 

Dass materielle Körper bereits nach einer Drehung um 360° wieder gleich aussehen, hängt unserer Auffasung nach damit zusammen, dass die physikalischen Wechselwirkungen durch Bosonen vermittelt werden, die bereits nach einer Drehung um 360° wieder mit sich identisch sind. Alle Atome und Moleküle, aus denen materielle Körper bestehen, werden im Wesentlichen durch elektromagnetische Wechselwirkungen zusammengehalten. Für die Photonen als Wechselwirkungsteilchen des Elektromagnetismus sieht die Welt bereits nach einer Drehung um 360° wieder identisch aus. Daher spüren wir bei Interaktionen mit Materie für gewöhnlich nichts davon, dass wir eigentlich zwei volle Umdrehungen bräuchten, um wieder beim Ausgangspunkt anzukommen. 

Einschätzung des ErklärungsansatzesStärken:

Das sonderbare Phänomen, dass Fermionen mit dem Spin ½ħ erst nach zwei vollen Umdrehungen wieder mit sich identisch sind, wird bislang als kuriose Eigenheit dieser Teilchen abgetan, ohne eine physikalische Begründung dafür zu liefern. Der Ansatz, die Ursache dafür nicht länger bei den Teilchen, sondern in der Topologie des Raumes zu suchen, ist originell und vielversprechend. Allerdings hätte diese Hypothese zahlreiche Konsequenzen für unser physikalisches Weltverständnis. 

Schwächen:

Viele Fragen drängen sich auf: Ist die vierte Dimension ebenfalls räumlicher Natur? Welcher Zusammenhang besteht zwischen der hypothetischen vierten Dimension (= Kugelradius) und der Zeit? Wie wirkt sich die vierdimensionale Topologie in der Kosmologie aus? Lassen sich weitere Merkwürdigkeiten in unserem physikalischen und kosmologischen Weltverständnis plausibel erklären, wenn wir annähmen, unser Universum hätte die Gestalt einer vierdimensionalen Kugel?

Diese Fragen müssen beantwortet werden, damit die Hypothese an Plausibilität gewinnt.

  

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