In der gängigen wissenschaftshistorischen Erzählung findet man das Narrativ, dass die Klassische Mechanik durch Einsteins Relativitätstheorie abgelöst wurde und in der Relativitätstheorie als Spezialfall für kleine Geschwindigkeiten enthalten sei. Bei näherem Hinsehen stimmt dieses Narrativ jedoch nicht so ganz.

In Einsteins ursprünglicher Formulierung von 1905 beschreibt die Spezielle Relativitätstheorie die Transformation zwischen Bezugssystemen, die sich gleichförmig geradlinig zueinander bewegen. Beschleunigte Bewegungen oder Bewegungen mit konstanter Geschwindigkeit auf gekrümmten Bahnen lassen sich damit zunächst nicht erfassen. Die Allgemeine Relativitätstheorie behandelt beschleunigte Bewegungen aufgrund der Schwerkraft, aber keine Beschleunigungen aufgrund anderer Kräfte. Die Newtonsche Mechanik hingegen vermag sowohl gleichförmig geradlinige Bewegungen als auch beschleunigte Bewegungen - unabhängig von der Art der Kraft - im gleichen theoretischen Rahmen zu beschreiben. Basis bilden die drei Newtonschen Axiome:

Trägheitsgesetz: Ein Körper, auf den keine Kräfte einwirken, bleibt in Ruhe oder bewegt sich geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit.

Kraftgesetz: Kraft ist Masse mal Beschleunigung.

Actio gleich Reactio: Wenn der Körper A mit der Kraft F auf den Körper B einwirkt, so wirkt B auf A mit einer entgegengesetzten und betragsmäßig gleich großen Kraft ein.

Bei der Weiterentwicklung der relativistischen Mechanik hat man versucht, eine verallgemeinerte Entsprechung für das Newtonsche Kraftgesetz zu finden, was auch gelungen ist. In den heutigen Lehrbüchern werden dafür die Vierer-Vektoren genutzt, die auf den Göttinger Mathematiker Hermann Minkowski (1864-1909) zurückgehen. Bei der Beschreibung mittels Vierer-Vektoren treten jedoch zuhauf mathematische Ausdrücke auf, die keine messbaren Größen sind und daher keine unmittelbare physikalische Bedeutung haben. So ist die Vierer-Geschwindigkeit definiert als uµ = (γ · c, γ · v) mit dem Lorentz-Faktor γ = (1 - (v/c)2)-1/2 . Die räumlichen Komponenten der Vierer-Geschwindigkeit entsprechen also nicht der messbaren Geschwindigkeit v, sondern sind um den Lorentz-Faktor γ größer, was bei hohen Werten von γ zu Überlichtgeschwindigkeiten führt; zudem ist die nullte Komponente γ · c für jedes bewegte Objekt generell größer als die Lichtgeschwindigkeit c. Das Auftreten von Überlichtgeschwindigkeiten und nicht direkt messbaren Beschreibungsgrößen ist aus wissenschaftstheoretischer Perspektive bedenklich. Wünschenswert wäre eine alternative Formulierung der relativistischen Mechanik, deren theoretische Terme näher an den tatsächlich beobachtbaren Größen sind.

Kopfzerbrechen bereitet zudem das Zwillingsparadoxon. Bei diesem Gedankenexperiment reist ein Zwilling mit einer Rakete von der Erde zu einem fernen Stern und kehrt anschließend wieder zur Erde zurück, wo der andere Zwilling auf ihn wartet. Nach dem Relativitätsprinzip sind alle Inertialsysteme physikalisch gleichwertig. Wenn der Zwilling in der Rakete mit konstanter Geschwindigkeit reist, kann jeder der beiden Zwillinge annehmen, er wäre in Ruhe und der andere Zwilling in Bewegung. Wegen des relativistischen Effekts der Zeitdilatation haben beide Zwillinge den Eindruck, dass die Uhr des jeweils anderen Zwillings während der Reise langsamer geht. Wenn sie sich auf der Erde wiedertreffen, stellt sich jedoch heraus, dass tatsächlich für denjenigen Zwilling, der in der Rakete saß, weniger Zeit verflossen ist und seine Uhr eine kürzere Zeitspanne seit dem Abflug anzeigt als die Uhr des auf der Erde verbliebenen Zwillings. Erklärt wird dieses Paradoxon dadurch, dass nur der Zwilling in der Rakete einer Beschleunigung ausgesetzt war, was dieser im Moment der Beschleunigung beim Start von der Erde und beim Umkehren am fernen Stern objektiv feststellen konnte. Damit diese Erklärung greifen kann, müsste die Uhr des Zwillings in der Rakete aber eine "Erinnerung" daran besitzen, dass sie beschleunigt wurde und wie lange sie mit welcher Geschwindigkeit unterwegs war. Im Formalismus der Relativitätstheorie gibt es aber keine Größe, in der diese Erinnerung abgespeichert werden könnte. Physikalische Größen wie Ort, Geschwindigkeit und Impuls werden relativ zum jeweiligen Bezugssystem gemessen - ein ausgezeichnetes Bezugssystem, gegenüber welchem eine Beschleunigung absolut gemessen werden könnte, gibt es laut Einsteins Theorie nicht. Das physikalische Verhalten eines Objekts hängt sowohl in der Klassischen Mechanik als auch in der Relativitätstheorie allein von seinem Bewegungszustand zum Startzeitpunkt der Betrachtung sowie etwaigen während des Betrachtungszeitraums einwirkenden Kräften ab, aber nicht von Ereignissen aus der Vergangenheit des Objekts vor Beginn der Beobachtung. Das Zwillingsparadoxon lässt sich aber nur auflösen und mit den Beobachtungstatsachen in Einklang bringen, wenn man zugesteht, dass in der theoretischen Beschreibung eine Größe fehlt, mit der die Summe der Beschleunigungen beschrieben werden kann, die ein Objekt in seiner Vergangenheit erfahren hat. 

Für die Klassische Mechanik sind mehrere mathematische Formulierungen bekannt, die auf Differentialgleichungen beruhen. Neben der Newtonschen Formulierung ist auch die Phasenraum-Darstellung nach Hamilton gebräuchlich. Beide Darstellungsweisen sind zueinander äquivalent und enthalten alle physikalisch relevanten Aspekte gleichermaßen. Die beiden Relativitätstheorien hingegen beschreiben jeweils nur ausgewählte Bewegungsarten (gleichförmig geradlinige Bewegungen bzw. beschleunigte Bewegungen aufgrund der Gravitation) und unterscheiden sich zudem fundamental in ihrer mathematischen Struktur. Die Spezielle Relativitätstheorie beruht auf Transformationen zwischen Koordinatensystemen durch die sogenannten Lorentz-Transformationen. Die Allgemeine Relativitätstheorie fällt - auch im Vergleich zu allen anderen physikalischen Theorien - vollkommen aus dem Rahmen. Es ist die einzige Theorie, die eine Kraftwirkung durch eine Änderung der Raum-Zeit-Metrik beschreibt. Einstein hat in seinen späten Jahren versucht, diesen konzeptionellen Ansatz auch auf den Elektromagnetismus zu übertragen - aber letztlich erfolglos. So sehr die Allgemeine Relativitätstheorie bewundert wird, sollte man den Gedanken daher nicht ausschließen, dass die geometrische Formulierung über einen Krümmungstensor vielleicht in eine Sackgasse geführt hat. Wenn man die Beschreibung der Gravitation anschlussfähig an andere physikalische Theorien machen will, wird man wohl nicht umhinkommen, die Allgemeine Relativitätstheorie auf einer anderen mathematischen Basis zu reformulieren.

Vor diesem Hintergrund möchten wir daher die Frage stellen: Lässt sich die relativistische Mechanik in einem einheitlichen mathematischen Korsett für beliebige Kräfte formulieren?  

 

Lösungsansätze:

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