Unverstandenes in der Physik
Ein etwas vorschnippischer Philosoph, ich glaube Hamlet Prinz von Dänemark, hat gesagt: Es gebe eine Menge Dinge im Himmel und auf der Erde, wovon nichts in unsern Compendiis steht. Hat der einfältige Mensch, der bekanntlich nicht recht bei Trost war, damit auf unsere Compendia der Physik gestichelt, so kann man ihm getrost antworten: Gut, aber dafür stehn aber auch wieder eine Menge von Dingen in unsern Compendiis, wovon weder im Himmel noch auf der Erde etwas vorkömmt.
Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799)
Die meisten Laien bewundern die Physik für die Erkenntnisse, die bekannte Namen wie Galileo Gallei, Isaac Newton oder Albert Einstein hervorgebracht haben. Auch unter Wissenschaftsphilosophen hat die Physik große Anerkennung gefunden, deren Herangehensweise häufig anderen Wissenschaftsdisziplinen zur Nachahmung empfohlen wurde. Bei näherem Hinsehen ist es um den Erkenntnisstand der Physik allerdings gar nicht so gut bestellt. Der eingangs zitierte Aphorismus von Georg Christoph Lichtenberg, der vor 250 Jahren an der Göttinger Universität den ersten Lehrstuhl für Experimentalphysik innehatte, trifft wohl auch auf die heutigen Physik-Lehrbücher zu.
Während die Chemie im Wesentlichen auf einem einheitlichen theoretischen Fundament ruht, nämlich der chemischen Bindung zwischen den Atomen der verschiedenen Elemente des Periodensystems, ist dies in der Physik nicht so. Die Theorien der Physik stehen eher wie solitäre Blöcke nebeneinander. Die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik unterscheiden sich in ihren konzeptionellen Grundannahmen und ihrer mathematischen Formulierung derart voneinander, dass es bislang nicht gelungen ist und vermutlich wohl auch nie gelingen wird, eine Quantentheorie der Gravitation aufzustellen. Andere Theorien geraten in Widersprüche - etwa wenn man versucht, die mit dem Spin eines Elementarteilchens verbundene Rotationsenergie mit den Formeln der klassischen Mechanik zu berechnen oder die Eigenenergie eines elektrisch geladenen Teilchens in seinem eigenen Feld zu ermitteln. Im Physikstudium hört man von diesen Problemen, aber man wird eindringlich davor gewarnt, sich näher damit zu befassen, denn dies führe zu nichts und halte nur von der produktiven Beschäftigung mit lösbaren Fragestellungen ab.
Als die Quantentheorie und die Relativitätstheorie zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufkamen, gab es heftige Diskussionen um ihre Interpretation, weil diese Theorien unser intuitives Verständnis von Raum, Zeit, Materie und Kausalität herausfordern. Der Erfolg dieser Theorien bei der Erklärung bislang unverstandener Phänomene wie den Atomspektren und der Vorhersage neuer Effekte wie der Lichtablenkung an der Sonne führte jedoch dazu, dass sich die nachfolgenden Physikergenerationen an die Merkwürdigkeiten gewöhnten und die mathematisch anspruchsvollen Theorien als äußerst nützliche Hilfsmittel akzeptierten. Wer dennoch Zweifel äußerte, dem wurde geraten: "shut up and calculate"!
So haben sich die Physiker im Laufe der Zeit abgewöhnt, ihre unterdessen breit akzeptierten Theorien zu hinterfragen und alternative Erklärungsmodelle zu testen. Dafür sei ein illuminierendes Beispiel angeführt: Seit den 1930er Jahren ist die Beobachtung bekannt, dass sich die Sterne in den Außenbereichen der Galaxien schneller bewegen, als sie es eigentlich aufgrund der gravitativen Anziehung der im Inneren der Galaxie befindlichen Sterne tun dürften. Daher vermutet man große Mengen einer unsichtbaren "Dunklen Materie" im Halo der Galaxien, die allerdings bislang weder direkt beobachtet wurde und zudem aus bislang unbekannten Teilchen bestehen müsste. Die Existenz "Dunkler Materie" ist daher keineswegs gesichert, wie zumeist glauben gemacht wird, sondern eine bloße Adhoc-Annahme, die einem wissenschaftsphilosophisch geschulten Betrachter stets suspekt sein sollte und zur Suche nach alternativen Erklärungsansätzen motivieren müsste. Nicht so in der zeitgenössischen Astrophysik. Statt einer breiten Suche nach verschiedensten Erklärungsansätzen und einer kritischen Würdigung ihrer jeweiligen Vor- und Nachteile gibt es überhaupt nur einen einzigen alternativen Erklärungsansatz - eine Modifizierung der Newtonschen Mechanik, die ebenso adhoc erfolgt und nur von einer Handvoll Wissenschaftlern vertreten wird, die vom wissenschaftlichen Mainstream als Sonderlinge behandelt werden.
Wenn man das physikalische Wissen mit sachkundigem, aber unbefangenem Auge durchleuchtet, so stößt man auf eine Fülle von Auffälligkeiten und Merkwürdigkeiten. Da es im Laufe der Erkenntnisgeschichte häufig so gewesen ist, dass unerklärliche Befunde und logische Widersprüche zum Ausgangspunkt neuer Überlegungen wurden, sind wir überzeugt, dass eine Befassung mit den Auffälligkeiten und Widersprüchen im heutigen physikalischen Wissen zu neuen Erklärungsansätzen führen kann.
Mit einigen Merkwürdigkeiten haben wir uns bereits näher befasst und unkonventionelle Auswege vorgeschlagen:
- Elektrische Ladungen der Elementarteilchen: Das Standardmodell der Elementarteilchen kennt 48 Fermionen, die sich in drei Generationen mit jeweils zwei Quarks und zwei Leptonen aufteilen, deren elektrische Ladungen ein regelhaftes Muster zeigen. Deuten diese Regelhaftigkeiten vielleicht auf einen dahinterliegenden inneren Zusammenhang?
- Rotationsenergie des Spins: In der klassischen Mechanik ist mit jedem Drehimpuls eine Rotationsenergie verbunden. Kann es daher wirklich sein, dass der quantenmechanische Eigendrehimpuls der Elementarteilchen (Spin) ohne eine Rotationsenergie auskommt?
- Rotationsperiode von 720° des Spins von Fermionen: Die Fermionen, die als Elementarteilchen die materiellen Bausteine des Universums bilden, haben die äußerst bizarre Eigenschaft, erst nach zwei vollständigen Umdrehungen um 720° wieder mit sich identisch zu sein. Wie lässt sich dies mit unserer menschlichen Erfahrung in Einklang bringen, dass uns die Welt schon nach einer Drehung um 360° gleichartig erscheint?
Die Liste der Auffälligkeiten und Merkwürdigkeiten ist jedoch weitaus länger. Hier noch ein paar Anregungen zum eigenen Nachdenken:
- Warum enthält unser Universum nahezu ausschließlich Materie und kaum Antimaterie?
- Warum interagieren W-Bosonen nur mit linkshändigen Teilchen und rechtshändigen Antiteilchen?
- Warum hat das Photon keine Ruhemasse, das verwandte Z-Boson hingegen eine große Ruhemasse?
- Warum treten beim Zerfall des Z-Bosons die nicht direkt beobachtbaren Zerfälle in Paare aus Neutrinos und Antineutrinos doppelt so häufig auf wie die beobachtbaren Zerfälle in andere Teilchen-Antiteilchen-Paare?
- Sind die Werte der Naturkonstanten wie h, c, G oder e rein zufällig?
- Warum lassen sich die Bewegungsgesetze in allen Teilgebieten der Physik aus dem Prinzip der kleinsten Wirkung herleiten?
- Was treibt die Expansion des Universums an?
- Was macht das JETZT aus?
Lesetipps:
- Pavel Kroupka, Marcel Pawlowski und Moritz Haslbauer: Blog zu Dunkler Materie und der alternativen Erklärung über eine Modifizierung der Newtonschen Dynamik (MOND-Theorie)
- Willi Kafitz: Wahrheit und Realität - Gedanken zu mathematischen und physikalischen Grundsatzfragen, Oberhessische Naturwissenschaftliche Zeitschrift, Gießen 2024.
- Ilja Bohnet und Thomas Naumann: Das rätselhafte Universum, Kosmos Stuttgart 2022.
- Alexander Unzicker: Auf dem Holzweg durchs Universum – warum sich die Physik verlaufen hat, Hanser München 2012.
Die Eigenschaften der Elementarteilchen zeigen regelhafte Muster, insbesondere bei ihren elektrischen Ladungen. Wie lassen sich diese Regelhaftigkeiten erklären?
Alle Elementarteilchen besitzen eine Eigenschaft, die Spin genannt und als Eigendrehimpuls des Teilchens interpretiert wird. In der klassischen Mechanik ist mit jedem Drehimpuls eine Rotationsenergie verbunden. Ist mit dem Spin der Elementarteilchen ebenfalls eine Rotationsenergie verbunden? Falls ja, wie groß ist diese?
In der gängigen wissenschaftshistorischen Erzählung findet man das Narrativ, dass die Klassische Mechanik durch Einsteins Relativitätstheorie abgelöst wurde und in der Relativitätstheorie als Spezialfall für kleine Geschwindigkeiten enthalten sei. Bei näherem Hinsehen stimmt dieses Narrativ jedoch nicht so ganz.
Das Prinzip der kleinsten Wirkung, auch Hamiltonsches Prinzip genannt, ist ein Grundprinzip der Theoretischen Physik, aus dem die grundlegenden Bewegungsgesetze in vielen Teilgebieten der Physik hergeleitet werden können. Unser bisheriges physikalisches Wissen gibt jedoch keinen Hinweis, warum dieses Prinzip universell gültig ist.