Neben der puren Beschreibung, wie das Perspektiven-Ebenen-Modell (4-3-Modell) aufgebaut ist, stellt sich natürlich auch die Frage, wie man es in der Praxis einsetzt. Wie ist das Vorgehen bei der Analyse eines Geschäftskonzepts?
Die Entwicklung eines Geschäftskonzepts beginnt stets mit der Frage, welche (funktionale) Aufgabe für den Kunden eigentlich durch das Geschäft gelöst werden soll. Welche Funktion erfüllt das Produkt für den Kunden und eventuell für weitere involvierte Dritte (Was?). Dabei ist zu berücksichtigen, dass jedes real existierende Produkt in der Regel mehrere Funktionen gleichzeitig erfüllt und diese sich situativ sogar unterscheiden können. Mit der Frage nach der Funktion bzw. erfüllten Aufgabe verbunden ist die Zusatzfrage, für wen diese Leistung primär erbracht werden soll (direkt oder indirekt) und was eigentlich der primäre Claim, die wichtigste Aussage, diesem Kunden gegenüber zur angestrebten Leistung ist (Value proposition, bzw. die aus Sicht des Kunden angestrebte Bewertung).
Auf dieser Basis können dann Alternativen erarbeitet werden, wie denn diese Leistung (die Aufgabenerfüllung und Value Proposition) für den Kunden in der Praxis erbracht werden soll. Dabei sind die Fragen zu beantworten, welche (funktionalen) Elemente in den drei Ebenen für diese Lösung erforderlich sind, welche Schnittstellen diese untereinander aufweisen und welche Zeitpfade die einzelnen Elemente aufweisen, um tatsächlich geschaffen zu werden. Einzelne Elemente können dabei unmittelbar verfügbar sein und andere Elemente erst nach einem langwierigen Entwicklungs- und Investitionsprozess. Letztlich wird damit eine Struktur und ihr Entwicklungspfad definiert. Darauf aufbauend ist dann zu klären, wie die Elemente in der Struktur zusammenwirken, damit die erwünschte Leistung tatsächlich entsteht. Hierzu gehört insbesondere auch die Frage, welche Zuordnungen jeweils zwischen welchen Akteuren zu den benötigten Elementen in der zweiten und und dritten Ebene bestehen.
Besteht ein grundsätzliches Verständnis für die Struktur, dann kann die Frage der Alternativen und deren Bewertung an den auftretenden Schnittstellen betrachtet werden. Dabei liegt der Fokus zunächst auf den Schnittstellen, die zwischen den unterschiedlichen Akteuren auftreten. Jede dieser Schnittstellen weist im Prinzip die Möglichkeit für die Akteure auf, sich für eine Alternative zu entscheiden, um die gleiche Funktion erfüllt zu bekommen. An diesen Schnittstellen stellt sich dann die Frage, wie die Beteiligten den Austausch an der Schnittstelle bewerten. Dabei kommt es darauf an, alle drei Ebenen zu betrachten. Dies beginnt mit der Frage, welche Elemente gebraucht oder verbraucht (Abnutzung) werden bzw. an der Schnittstelle transferiert werden. Dies kann sich auf Material, beliebige Kombinationen davon (=physikalische Produkte) oder Energie beziehen, auf Daten, Geld oder Zuordnungen in der virtuellen Ebene oder auf Zeit in der Akteursebene. Darüber hinaus ist der assoziative Wert für die Beteiligten zu berücksichtigen – sowohl in Bezug auf die betrachteten Personen an sich als auch deren Position in der/den für sie relevanten Gruppe(n). Dabei sind sowohl assoziativ verknüpfte Kontexte als auch Emotionen zu berücksichtigen.
Schliesslich stellt sich die Frage der Lebensfähigkeit der präferierten Struktur. Mit der Zeitperspektive wird insbesondere die Frage aufgeworfen, zu welchem Zeitpunkt die für die angestrebte Value Proposition benötigten Elemente, Schnittstellen und Bewertungen tatsächlich verfügbar sind und wie stabil sie über Zeit sind. Darüberhinaus sind die Dynamiken zwischen den Elementen und von eventuell im Geschäftskonzept vorhandenen bzw. ablaufenden Prozessen zu betrachten.
In den allermeisten Fällen wird man dabei feststellen, dass für die Umsetzung der anfänglichen Idee wichtige Bausteine fehlen, zu einem späteren Zeitpunkt erst entstehen oder im anderen Extrem anfänglich zwar vorhanden sind, aber nicht im Zeitablauf stabil und dann verschwinden. Außerdem können einzelne Prozesse im Geschäftskonzept mit völlig unterschiedlichen Dynamiken und Geschwindigkeiten ablaufen. Was dann zu erheblichen Ungleichgewichten und Folgeproblemen führen kann.
Dies ist der Moment, in dem der Zyklus von vorne beginnt und man den Zyklus nochmals durchlaufen muss. Welche Aufgabe kann man erfüllen, wenn anfänglich ein Baustein fehlt? Welche Value Proposition ist ohne diesen Baustein tatsächlich vorhanden? Welchen Ersatz kann man für den Start schaffen? Welche Alternativen bestehen? Wie werden diese Alternativen von den beteiligten Elementen bewertet? Wie kann man mit völlig unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten in Teilen des Geschäftskonzept umgehen? …
Häufig wird man vor der Situation stehen, dass man für einzelne Fragen die Antwort nicht kennt. Dies ist auch nicht notwendig, wenn man am Anfang der Reise steht. Gegenüber einem unstrukturierten Vorgehen hat man dennoch bereits einen entscheidenden Vorteil: Man hat zunächst einmal die Frage überhaupt identifiziert. Man hätte sie ja auch übersehen können. Eventuell hat man sogar erkannt, dass es sich dabei um kritische Fragen handelt. Ob etwas kritisch ist, kann man an verschiedenen Punkten erkennen:
- die im Geschäftskonzept angestrebte Funktion ist für den Kunden ohne die Existenz eines bestimmten Elements oder aufgrund einer fehlenden Schnittstelle nicht erfüllt. Wenn ich eine KI entwickeln möchte, diese jedoch aufgrund fehlender Daten nicht trainieren kann, dann sind z.B. genau diese nicht vorhandenen Daten als Element der virtuellen Ebene eine derartige Lücke.
- Es kann auch bereits genügen, dass ein spezifisches Element nicht in ausreichender Menge verfügbar ist, bzw. bei Wachstum des Geschäftskonzepts zukünftig nicht mehr ausreichend verfügbar sein wird.
- Eine weiterer Punkt, wann eine Frage kritisch wird, kann sich auch aus unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten im Geschäftskonzept ergeben. Wenn sich einzelne Teile des Geschäftskonzepts wesentlich schneller als andere entwickeln, kann dies zu erheblichen Ungleichgewichten führen. Diese können dann ihrerseits das Geschäftskonzept insgesamt gefährden. Dabei muss man nicht den genauen Zeitpunkt, wann ein Ungleichgewicht eintritt oder ein Ausmaß annimmt, dass es für ds Geschäftskonzept zu einer Gefährdung führt. In vielen Fällen kann man auch grob abschätzen, ab wann eine identifizierte offene Frage denn überhaupt kritisch wird und was die Konsequenzen sind, wenn man sie zunächst ignoriert. Es reicht dann völlig, dies rechtzeitig erkannt zu haben und damit das Eintreten von vorherein zu verhindern.
In jedem Fall hat man durch dieses analytische Vorgehen anhand des 4-3-Modells die Grundlage geschaffen, seine nächsten Schritte zu planen und zu priorisieren. Die Frage nach den kritischen Elementen, Schnittstellen, Bewertungen und Dynamiken hilft einem auch dabei, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und nicht in der Vielfalt der denkbaren Zusammenhänge zu ersticken.
Man hat sich von dem Stand „ich weiss, dass ich nicht weiss“ zu „Ich weiss, was ich nicht weiss“ weiterentwickelt. Man hat sogar ein Gefühl dafür entwickelt, was dabei besonders wichtig oder in den vorher gewählten Worten, besonders kritisch ist. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied!
Und nun? Wie geht es weiter? Und was folgt daraus? Mehr dazu findet sich im Ausblick zum 4-3-Modell.
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